Die Heilung eines Taubstummen im Ausland
Predigt für Sonntag, 6. September 2015, Temple von Labastide
Lesung : Jakobus 2, 1 - 6
Evangelium : Markus 7, 31 - 37
Lieder : Arc-en-Ciel 601, 1-2-3 ; 536, 1-2-3 ; 471, 1-2-3
Spontane Antwortverse : (AEC) 118, 1 ; 428, 4 ; 475, 2 ; 81, 8 ; 138, 2
Es passiert uns leicht, dass wir unsere Weggenossen sehr äußerlich begutachten. Leider gilt auch unter Christen kaum ein Wundermittel mehr als das berühmte « Vitamin B ». Der Jakobusbrief warnt uns davor. Hören wir im Jakobusbrief Kap. 2, die Verse 1-6 :
Liebe Schwestern und Brüder, euer Glaube an unseren Herrn Jesus Christus, den Verherrlichten, gehe nicht einher mit einem Verhalten, das die Person ansieht. Wenn nämlich in eure Versammlungen ein Mann mit goldenen Fingerringen und kostbarem Gewand kommt, und es kommt auch ein Armer in schäbigem Kleid – und ihr schaut auf den, der das prächtige Gewand trägt und sagt zu ihm : Setz dich hier her auf den guten Platz ! Und zu dem Armen : Stell dich dort hin, oder setz dich da unten hin neben meinen Schemel ! Meßt ihr dann nicht mit zwei verschiedenen Ellen ? Seid ihr dann nicht zu Richtern geworden, die sich von bösen Gedanken leiten lassen ? Hat Gott nicht die erwählt, die in den Augen der Welt arm sind, und sie zu Reichen im Glauben und zu Erben des Reiches gemacht, das er denen verheißen hat, die ihn lieben ? Ihr aber habt den Armen verachtet.
Das Evangelium von heute bietet uns eine Heilung. Markus betont, dass es ein Fremder ist, dem Jesus hier begegnet, in einem Augenblick, wo er im Ausland unterwegs war. Wir hören aus Markus 7 die Verse 31 bis 37 :
Jesus verließ das Gebiet von Thyrus und kam durch Sidon zum See von Galiläa, im Gebiet der Zehn Städte. Und sie bringen zu ihm einen Tauben, der auch sprachbehindert war und bitten, ihm die Hand aufzulegen. Und er nimmt ihn von der Menge beiseite, bohrte ihm die Finger in die Ohren, spuckte und berührte seine Zunge, und schaute zum Himmel auf, seufzte und sagte zu ihm : « Ephata ! », das heißt « Tu dich auf ! ». Und sofort tat sich sein Gehör auf, und die Fessel seiner Zunge wurde gelöst und er redete recht. Und er trug ihnen auf, daß sie es niemand sagen sollten. Je mehr er es aber auftrug, desto lebhafter verkündeten sie es. Über die Massen waren sie außer sich und sagten : Alles hat er wohl gemacht. Die Tauben macht er hören und die Sprachlosen reden ! » (Jesaja 35,5)
Wir singen vom Lied 254 (Entonnons un saint cantique) 1-2-3
Liebe Freunde,
was würdet ihr zu einem Pfarrer sagen, der beim Hausbesuch das Stethoskop zückt und den Puls prüft ? Wie seht ihr einen Arzt, der nach der medizinischen Untersuchung zur Patientin und ihrem Mann sagt : « Wissen Sie, meine Lieben, dass das Gebet eine unwahrscheinliche Macht hat ? » Lachen Sie nicht zu schnell. Das ist nicht einfach erfunden. Ich habe beides erlebt : Den Pfarrer, der sich in die Domäne des Arztes begeben hat, und den Arzt, der sprach, als ob er Pfarrer wäre.
Und im heutigen Evangelium sehen wir Jesus, der offensichtlich sein eigenes « Arbeitsgebiet » verläßt, um einem Behinderten zu begegnen. Er bedient sich dabei der Handlungsweisen eines Arztes seiner Zeit. Er nimmt den Behinderten aus der Volksmenge beiseite, sozusagen in den geschützten Bereich einer persönlichen Begegnung. Dann erfolgt eine medizinische Be-Handlung : Er steckt die Finger in seine Ohren, er berührt die Zunge des Taubstummen mit seinem eigenen Speichel. Alles sieht dananch aus, als lasse uns das Evanglium Einblick nehmen in die medzinischen Behandlungsmethoden der damaligen Zeit.
Ich möchte gern mit Ihnen betrachten, was uns der biblische Bericht zeigt. Jesus ist im Ausland. Man bringt ihm einen Taubstummen. Der Mann selbst konnte Jesus um nichts bitten (auch nicht um seine Heilung). Die Unterweisung Jesu konnte er auch nicht erfassen. Durch seine Behinderung war es ihm unmöglich, das befreiende Wort zu hören, das Jesus ihm hätte zusprechen können. Und diejnigen, die ihn zu Jesus brachten, wollten keine Unterrichtsstunde für ihn, sondern, dass er ihm die Hand auflegte. Er sollte in den Genuß der Heilungsgabe kommen, für die Jesus offenbar bekannt war. Und Jesus verweigert das nicht !
Jesus ist zu einer Be-Handlung im wahren Sinn des Wortes bereit. Zuerst nimmt er den Behinderten beiseite, um ihm ganz persönlich nah zu sein. Dann berührt er den Mann sehr intensiv. Er bohrt die Finger in seine Ohren, er berührt seine Zunge mit seinem eigenen Speichel. Kurz : Er tut, was wohl viele Heiler damals taten. Und dann folgt im Bericht des Markus ein ganz bemerkenswertes Detail : Jesus hebt den Blick nach oben, zum Himmel, er seufzt – und sagt dann ein Wort auf Aramäisch (das hier, im Ausland, sehr wahrscheinlich unverständlich war). Natürlich könnte man auch das als eine Handlungsweise verstehen, die zum Instrumentarium der damaligen Heiler gehörte. Liegt die Zeit so weit zurück, in der Ärzte ihre Patienten mit unverständlichen Wörtern eindeckten (und je unverständlicher, desto eindrucksvoller wars…). Ich erlaube mir, den biblischen Bericht ganz ernst zu nehmen und Wort für Wort zu lesen : Jesus leidet mit dem Leidenden. Er seufzt mit dem, der nur noch seufzen kann. Und er wendet sich dann an den Himmel selber. Er redet DEN an, mit dem er immer wieder in seinem Heimatdialekt im Gespräch ist, auf Aramäisch. Er sagt also ZUM HIMMEL : « Ephata ! », « Tu dich auf ! » !
Ich bin überzeugt, dass Jesus hier eben nicht als Heiler handelt, sondern als der Sohn, der sich in totalem Vertrauen an seinen himmlischen Vater wendet. Er spricht zu Gott. Zu dem, der alle (auch alle heilende!) Macht im Himmel und auf Erden hat. Von ihm erwartet Jesus alles. Nur darum wendet Jesus seinen Blick zum Himmel und sagt zu IHM « Tu dich auf ! ». Natürlich weiß ich auch, dass der Satz des Markus auch anders verstanden werden kann. Wenn da steht « er sagte zu ihm » kann das auch bedeuten « Jesus sagte zu dem Behinderten » Das kann sein. Und wenn wir es so verstehen, dann ist das ja auch nicht total verkehrt. Der Gott der Liebe kann ja wirklich seine Gnade in Strömen auf mich regnen lassen – und wenn ich mich mit all meinen Zweifeln oder meiner Selbstgewissheit dadagen wasserdicht abschirme, dann wird es seine Gnade niemals schaffen, bis in mein Herz zu gelangen...
Ich möchte trotzdem noch einen Augenblick lang beim Gedanken bleiben, daß Jesus seinen himmlischen Vater anfleht, diesem armen Behinderten nicht länger unzugänglich und fern zu bleiben. Gott soll nicht länger stumm und verschlossen sein für diesen Mann, der so lange von jedem echten Kontakt abgeschnitten war : « Mein Gott, mein Vater, zeig dich als der, der gegenwärtig und offen ist für uns, und ganz besonders für dieses Menschenkind, das in so unmenschlicher Weise eingesperrt ist in das Gefängnis der Taubheit. Geh du selbst auf ihn zu, um ihn für die Welt zu öffnen, erfülle ihn mit deinem Geist, der Verbundenheit schafft, laß ihn dein schöpferisches Wort in sich aufnehmen, das Dunkel hell macht und Chaos in Kosmos verwandelt ! »
Die Heilung, von der das Evangelium berichtet, verdankt sich nicht der Be-Handlung. Das Wesentliche geschieht durch den offenen Himmel. Gott heilt !
Natürlich bleiben noch Fragen offen. Warum handelt Jesus so ? Hätte er den Behinderten nicht einfach durch sein Wort heilen können ? Anderswo geschah das ja. Hier läßt er uns erfassen, daß die Gesten, die sichtbar-spürbare Be-Handlung nicht unnütz ist. Schon immer haben Heiler mit solchen Be-Handlungen zu helfen verstanden. Heute noch finden Ärzte zu Verhaltensweisen, die ihr Mitfühlen, ihr Verstehen spürbar machen. Sie kennen Gesten und Worte, die Vertrauen wachsen machen. Und sie wissen es : Ob Pfarrer oder Arzt, ohne Vertrauen geht gar nichts.
Allerdings bin ich überzeugt : Wenn wirklich Heilung geschieht, dann ist die immer das Werk des auferstandenen Herrn.
In der Begegnung mit dem behinderten Fremden wird Jesus zum Vorbild für jeden Heilenden, für jeden Arzt. Sein Eintreten für den Taubstummen erinnert uns nicht allein an die Verheißung im Buch des Propheten Jesaja (und läßt damit anklingen, daß mit Jesus das verheißene Heil gekommen ist). Wir erfahren auch, wie Jesus sein völliges Vertrauen in Gott gelebt hat – zu dem Gott, der zu seinen Verheißungen steht. Jesus hat nicht vor dem lähmenden Elend kapituliert, wie das uns so oft passiert : Was vermag ich schon für jemanden, der für alle und alles verschlossen ist ? Was tun, wenn der andere nicht einmal zu hören fähig ist ? Wie kann ich reagieren, wenn alles blockert scheint ?
Jesus gibt den Dunkelheiten der Welt gegenüber nicht auf. Er zählt auf den Ewigen. Und er verlangt vom Himmel selbst, daß er sich öffnet. Er erwartet von Gott, daß er für den Behinderten erfahrbar wird. Weil Gott Gott ist, und weil Gott immer auf der Seite der Schwachen, der Hilflosen ist, kann er doch gar nicht anders. Er muß sich zeigen, er muß seine Macht erfahrbar machen, sein Heil schenken.
Und das eigentliche Wunder in dieser Geschichte ? Es besteht darin, daß der Heilende nicht nur Heiler ist. Er betet auch. Als Priester im eigentlichen Wortsinne sorgt er für die Verbindung zwischen Gott und dem Menschen, den das Leben in ihm selber eingesperrt hat. Das Wunder ist genau dies, daß der sich der Geistliche nicht nur ums Seelenheil des Behinderten sorgt, sondern dass er von Gott seine ganz konkrete Befreiung verlangt.
So kämpft Jesus mit allen Mitteln für den Behinderten. Er seufzt, weil er mit ihm leidet. Jesus kennt die Schwachheit der Welt – und auch sein eigenes Unvermögen. Darum will er, daß Gott seinen Himmel für die Menschen öffnet – und zwar ganz unabhängig davon, ob sie fromm sind oder nicht !
Das ist bis heute DAS Wunder Gottes, dass Menschen aus ihrem Gefängnis herausfinden, dass sie einander begegnen, einander verstehen. Und dies Wunder verdanken wir dem Offenen Himmel. Das Heil der Geistesgegenwart – und dieses Pfingsfest ereignet sich tatsächlich : Immer wieder neu. Amen.
Herr unser Gott, dein Sohn hat uns den Himmel geöffnet.
Durch ihn haben wir Teil an deiner Nähe, deiner Liebe -
die erfahrbar wird in aller Liebe, die wir erleben dürfen :
Überall, wo Menschen mit offenen Armen aufgenommen werden,
wo Begleitung geschieht, wo sich Verstehen ereignet ;
überall, wo Zäune fallen, wo Grenzen überwunden werden,
wo wir herausfinden aus unserer Sprachlosigkeit.
Dein Sohn hat uns deinen Geist verheißen, der Herzen öffnet,
sodaß wir die Menschen verstehen können, denen wir begegnen,
daß wir wahrzunehmen fähig werden,
daß sie unsere Schwestern und Brüder sind.
Wir bitten dich, dass deine Nähe uns die Zunge löst
und uns Worte schenkt, die verbinden, nicht trennen,
die Mut machen und stärken, die neue Lebendigkeit möglich machen.
Wir bitten dich für alle, die leiden müssen.
Schenke Erleichterung denen, die schweren Herzens sind.
Laß die Menschen, die sich einsam oder gar verloren fühlen,
Begeleitung und Verständnis finden,
und diejenigen einen offenen Himmel,
die sich scheinbar mit Deiner Ferne und Verschlossenheit abgefunden haben.
Und wir bitten dich für Israel, dein geliebtes Bundesvolk :
Schenke ihm den Frieden, den du verheißen hast,
damit Zeichen und Botschaften von Frieden und Versöhnung ausgehen
von diesem Land, das dir so besondern lieb ist,
bis in alle Länder der Erde.