Predigt für Sonntag, den 13. August 2006 in Salavas
(deutsche Übersetzung, für Nichtfranzosen schriftlich)
Lesung: Epheser 4, 30 - 5, 14
Evangelium: Johannes 6, 33 - 51
Predigt : 1 Könige 19, 1- 8
Lieder : Arc-en-Ciel 36, 1-2-3 ; 521, 1-3-14 ; 232, 1-2-3
Spontane Antwortverse: 118, 1 ; 428, 4 ; 475, 2 ; 81, 8; 862 ; 875 ; 471, 1; 138,2
Die Epistel zum heutigen Sonntag sagt uns , wie sich ein Jünger verhält, ein Diener des Herrn, der den Namen verdient. Hören wir aus Epheser 4, 30 bis 5, 14:
Betrübt nicht den heiligen Geist, mit dem Gott Euch wie mit einem Siegel gezeichnet hat, auf den Tag der Erlösung hin. Verbitterung, Verärgerung, Zorn, Brüllerei, Fluchen, das alles passt nicht zu euch. Ebensowenig jegliche Form von Gemeinheit. Seid einander freundlich, herzlich. Vergebt euch gegenseitig, wie Gott euch in Christus vergeben hat. Folgt Gott nach, denn ihr seid seine geliebten Kinder. Früher wart ihr Finsternis, nun aber seid ihr Licht im Herrn. Lebt also als Kinder des Lichts. Und die Früchte des Lichtes heissen Güte, Gerechtigkeit, Wahrheit. Darum sagt man: Wach auf, der du schläfst, steh auf von den Toten, so wird Christus über dir aufstrahlen.
Das Evangelium zum heutigen Sonntag ist die Jesusrede, in der der Herr sagt, dass er das Brot des Lebens ist. Wir hören einige Verse aus Johannes 6:
Das wahre Brot von Gott ist der, der vom Himmel kommt und der Welt Leben gibt. Darauf sagten seine Hörer: Herr gib uns allezeit dieses Brot! Jesus antwortete ihnen: Ich bin das Brot des Lebens, wer zu mir kommt, der wird nimmermehr hungern, und wer an mich glaubt, wird nie mehr dürsten. Ich habe es euch gesagt: Ihr habt es gesehen, und dennoch glaubt ihr nicht. Alle, die der Vater mir gibt, kommen zu mir, und ich werde keinen verwerfen, denn ich bin vom Himmel gekommen, nicht um meinen Willen zu tun, sondern zur Erfüllung des Willens dessen, der mich gesandt hat. Und der Wille dessen, der mich gesandt hat, ist, dass ich keinen von denen verliere, die er mir anvertraut hat, sondern dass ich sie am jüngsten Tage auferwecke. Das ist der Wille meines Vaters: Wer den Sohn sieht hat ewiges Leben. Und ich werde ihn erwecken am jüngsten Tage.
Die Lesung in der hebräischen Bibel zum heutigen Sonntag erlaubt uns, über die Geschichte des Propheten Elia nachzudenken. Er war ein überraschender Prophet, ein Mann voller Rätsel. Ob er wirklich immer dem Willen des Ewigen gefolgt ist, Elia, der von sich behauptete, der Letzte zu sein, der in Wahrheit dem Gott der Väter folgte?
Auf dem Berg Karmel, so wird erzählt, hat Elia 450 Baalspriester lynchen lassen, die unter dem Schutz der Königin Isebel standen und heidnische Kultpraktiken ins Land gebracht hatten. Wir hören den Anfang von 1 Könige 19:
König Ahab berichtete Isebel alles, was Elia getan hatte. Er redete von allen, die er durchs Schwert hatte töten lassen, alle Propheten. Isebel sandte einen Boten zu Elia und liess ihm sagen: Die Götter mögen mir dies und das antun, wenn ich nicht morgen um diese Stunde mit deinem Leben getan habe, was du den Baalspriestern getan hast! Daraufhin stand Elia auf und rannte um sein Leben. Er kam nach Beerscheba, das zu Juda gehört. Dort liess er seinen Diener zurück. Er selbst floh in die Wüste, eine Tagesreise weit. Dort setzte er sich unter einen alleinstehenden Wacholder. Er wünschte sich den Tod und klagte: Ich kann nicht mehr! Nimm, HERR, mein Leben, denn ich bin auch nicht besser als meine Väter! Dann legte er sich hin und schlief unter dem einsamen Wacholder ein. Und siehe, ein Engel rührte ihn an und sagte zu ihm: Steh auf und iss! Und er schaute sich um: Bei seinem Kopf lag ein Brotfladen und stand ein Wasserkrug. Er ass und trank, dann legte er sich wieder hin. Der Engel des HERRN kam zurück, rührte ihn an und sprach: Steh auf und iss, sonst wird der Weg zu weit für dich! Elia stand auf, ass und trank, und dann, gestärkt durch die Nahrung, wanderte er vierzig Tage und Nächte, bis zum Gottesberg, dem Horeb.
Liebe Freunde,
Er war eigenartig, dieser Prophet Elia. Wir müssen ihn uns etwa wie Johannes den Täufer vorstellen. Wilder noch. Ein Einzelgänger. Zum Fürchten. Ein Muster von Gottesmann, könnte man vielleicht sagen. Wir wissen nichts von seiner Herkunft. Wir kennen nur sein Prophetenamt, wie es im ersten Königsbuch (also viele hundert Jahre später!) beschrieben wurde. Elia hat sich nie jemandem anvertraut – ausser vielleicht seinem Schüler und Nachfolger Elisa. Er war urgewaltig, eine Naturkatastrophe. Und zwar ganz buchstäblich: Auf dem Karmel hat er eine dramatische Sache in Szene gesetzt. Er hat das Feuer Gottes vom Himmel heruntergeholt, um die Macht seines Gottes, des Ewigen, zu beweisen. In heiligem Zorn gegen die Götzen der gegnerischen Heidenpriester. Und als die Volksmenge (die ja immer dem Stärkeren nachrennt) ihm zujubelte nach seinem spektakulären Erfolg, nutzte er die Gunst der Stunde, um die Heidenpriester lynchen zu lassen. 450 Baalspriester, hingeschlachtet. Welch ein Opfer! Damit allerdings, davon bin ich überzeugt, hat er die Grenzen seines Prophetenamtes weit hinter sich gelassen. Wir haben ja gerade gehört, wie Gott seine Diener und Zeugen will. Voller Liebe und Verständnis und Erbarmen. Männer und Frauen, die den Ewigen anrufen, damit er die Herzen wandle. Nicht aber, dass Blut fließt! Elia hat sein eigenes Süppchen gekocht. Aber solche grossen Augenblicke sind nie von Dauer. Am nächsten Tag schon muß er Fersengeld geben. Er haut ab – und zwar vor einer einzelnen Frau! Vor einer Frau, die ihn lediglich bedroht hat. Hat er nicht gestern noch seine von Gott verliehene Urgewalt bewiesen, eine geradezu übermenschliche Vollmacht? Hat er vergessen, daß er vor gewaltigem Publikum bewiesen hat, wie Gott selber ihm beisteht? (Oder weiss er vielleicht allzu gut, daß das nur ein fauler Trick war, dass er nur so getan hat, als ob?) Gibt es das auch für solche Glaubenshelden, daß sie am nächsten Tag schon am Heulen sind? Heute hast du deinen grossen Erfolg, heute bist du stärker als alle anderen, heute hast du deinen Gott im Rücken, der mit Feuer vom Himmel fährt und die Götzen zerstampft – und morgen schon das heulende Elend? Elia haut ab. Zuerst mit seinem Diener, dann allein. Trennt er sich von ihm unterwegs, weil er keine allzu auffälligen Spuren hinterlassen will? Oder will er vielleicht die bitteren Konsequenzen dessen, was er für sein Prophetenamt hält, lieber ganz alleine tragen, ohne seinen Diener mit ins Verderben zu ziehen? Wir wissen es nicht. Klar ist nur: Er lässt sein Prophetenamt sausen. Und er rutscht ab in die Depression. Und wie! Am Abend ist er mitten in der Wüste. Die Umgebung sieht genau so aus, wie es in ihm drin aussieht. Hatte er nicht gemeint, er wäre der letzte aller wahren Diener seines HERRN, des Ewigen? Hatte er nicht total vergessen, daß Obadja, der Minister der Königin, hundert Propheten des Ewigen in zwei Höhlen hatte verstecken und versorgen lassen? Elia ist gar nicht allein. Aber er wollte seinen Weg alleine gehen. Und nun sehen wir, was dabei herausgekommen ist. Er ist nun in der Tat allein. Er ist in der Wüste. Einsam und kaputt. Ohne Essen, ohne Wasser, ohne Kompaß, ohne Hoffnung. Vielleicht ist es nicht einmal Zufall, daß er hier ist. Er hatte ja immerhin seinen großen Auftritt. Er hatte Gelegenheit, Eindruck zu schinden. Was könnte denn jetzt noch nachkommen? Er verzieht sich in den Hintergrund, und seine einzige Sorge ist, nicht in die Hände der Königin zu fallen. Wo ist nun das felsenfeste Vertrauen in seinen Gott, der Glaube an seinen HERRN, den Ewigen, der mächtiger ist als alle Baalim der Königin? Warum tritt er nicht trotzig und machtvoll der Königin entgegen, der ausländischen Prinzessin – wo doch sogar der König Ahab zumindest Respekt vor ihm hat, wenn nicht sogar Schiss...?
Ihr wisst ja: Die Bibel erzählt Geschichten. Was sie uns lehren will ist immer in Geschichten verpackt. Aber nun kommt alles darauf an, die richtig zu verstehen. Ich erinnere mich an den Religionsunterricht, wo diese Geschichte dran war. Der Pfarrer damals war begeistert von seinem Elia. Er konnte ihn gar nicht hoch genug rühmen. Diesen Elia, der stärker war als die Baalim. Jawoll, der Ewige ist doch der grösste! Der einzig Wahre! Der Stärkste! Der Pfarrer konnte gut erzählen. Und er hat die Geschichte ganz toll ausgemalt. Mit Einzelheiten, die in der Bibel stehen - und mit anderen, die er hinzu erfunden hat. Um den Ruhm des Ewigen noch weiter zu erhöhen. Und natürlich auch den Glanz seines Helden, seines Superstars, des Propheten Elia. Ich weiss noch, daß ich keine Lust hatte, diese Begeisterung zu teilen. Was ist das für eine Begeisterung, die letztlich ins Massaker mündet? Ihr wisst das doch auch, daß es sogar heute noch solche heilige Begeisterung gibt, die die Massen aufpeitscht. Vielleicht nicht immer in der Kirche. Manchmal genügt da ein kleines rundes Leder und ein paar bunt gekleidete Sprinter, die hinterher hetzen. Oder ein paar Velos...
Um ganz ehrlich zu sein: Mir ist sie immer schon unheimlich, derartige Begeisterung, die sich an Sensationen entzündet...
Damals hatte ich noch keine Ahnung von religiösen Phänomenen (wie dem Schamanismus). Phänomene, die schon in grauer Vorzeit die Massen hinreissen konnten. Das gibts in allen möglichen Religionen und Kulten: Echte Wunder, die hauen dich um! Zum Beispiel das Feuer, das vom Himmel fällt. Oft gibt es für solche Wunder eine ganz einfache Erklärung. Man muss bloss den Trick kennen...
Jedenfalls, diesem Propheten Elia traute ich nicht. Was mag das für ein Prophetenamt sein, wenn einer am einen Tag vor Selbstbewusstsein schier explodiert, und sich soweit gehen lässt, daß (zumindest in der Erzählung) Ströme von Blut fliessen – und am nächsten Tag schon zieht er Leine, weil eine Frau ihm droht? Und dann hockt er in der Wüste, am Ende mit seinem Latein, ein jämmerliches Häufchen Elend, zitternd vor Angst?
Also wirklich: Wenn Gott Liebe ist, dann will er ganz sicher nicht den Tod auch nur eines einzigen Menschen, und sei der sein schlimmster Feind. Ich bin überzeugt: Gott leidet, wenn ein Mensch zum Mord aufruft. Gott leidet masslos, wenn 450 Menschen abgeschlachtet werden. Und erst recht, wenn es sein eigener Prophet ist, der zum Lynchmord aufgerufen hat!
Und, allerdings, wenn Gott Liebe ist, dann wird er den kleinen Elia auch nicht sausen lassen, der sich da selber in den Dreck manövriert hat. Er wird den Mann nicht hängen lassen, der sich erst für den lieben Gott gehalten hat, und der jetzt bloss noch sterben will.
Nein, Gott gibt ihn nicht auf, den armen kleinen Flüchtling, der unter dem einsamen Wacholder zusammengebrochen ist. Halt! jetzt bitte keinen Widerspruch! Ich weiss auch, daß die meisten Übersetzungen an dieser Stelle « Ginster » schreiben. Es gibt auch die Übersetzung « Wacholder ». Das hat mich einmal dazu gereizt, der Sache auf den Grund zu gehen. Eine spannende Entdeckung habe ich da gemacht: Das hebräische Wort, das an dieser Stelle steht, kann in der Tat zwei ganz verschiedene Pflanzen bezeichnen. Einmal eine Ginsterart, die im Mittelmeerraum in wüstenhaften Gegenden vorkommt, und eine Wacholderart (wie wir sie auch hier in der Ardèche kennen. Hier heisst sie « Cade ». Zwei Pflanzen, die bei aller botanischen Verschiedenheit eine wesentliche Gemeinsamkeit haben: Sie können ihre Pfahlwurzeln unglaublich tief in den Boden bohren, um Wasser zu finden an Orten, wo alle anderen Pflanzen längst verdurstet sind. So können sie Schatten spenden, der anderen Pflanzen dann wieder Lebensmöglichkeit schafft (Man nennt das « Pilotpflanzen »). Mit anderen Worten: Das Bild, das unser Prophet hier bietet, wie er am Ende seiner Kraft ist und bloss noch sterben will, enthält eine wesentliche Botschaft: Elia ist genau wie dieser Wacholder. Wie so ein alter Stachelstrauch in der Wüste. Krumm und stachelig, zu hart zum Ausreißen. Schwarzes Holz, zu nichts zu gebrauchen. Nicht einmal zum Feuermachen taugt's. Du kannst ihn ja nicht einmal anfassen. Und sein Schatten ist auch nicht gewaltig. Der wird kaum reichen, um unserem Propheten eine Ruhepause zu gewähren, bevor er wieder weiterzieht. Aber ihr werdet gleich sehen, dass das noch nicht alles ist. Das Bild hat noch mehr zu sagen.
Aber zuerst gibt's noch ein Wunder. Ein Engel rührt sanft den Propheten an. Ich weiss nicht, wer das war. Klar ist bloss: Der hebräische Ausdruck ist ganz konkret. Da heisst es « Bote ». Und ihr wisst ja: Jede, jeder von uns kann « Bote » werden, Bote Gottes, Übermittler seiner Liebe. Man muss bloss ganz schlicht darum bemüht sein, Gottes Willen zu tun. Manchmal gelingt uns das sogar, ohne dass wirs merken, Gottes Liebe weiter zu geben. Und hier in der Wüste, unter dem einsamen Wacholder? Ich kann mir ohne weiteres einen wandernden Hirten vorstellen, der da vorbei gekommen ist. Er hat den armen Teufel da liegen gesehen, und das Mitleid hat ihn gepackt: Der ist verloren, wenn ich nicht mein Vesper mit ihm teile. Ich muss ihn sogar wachrütteln, so ist der kaputt. Und Elia? Der ist so am Ende, dass er kaum den wahrnimmt, der ihm da das Leben rettet. Kaum hat er ein paar Bissen Brot und etwas Wasser geschluckt, schläft er wieder ein. Und er kriegt noch eine zweite Portion, bevor er weiter wandert. So begreift unser Prophet, daß der Gott des Lebens nicht den Tod des Sünders will, sondern daß er lebt, und Zeuge seiner Liebe wird.
Elia ist keineswegs am Ende seines Weges angelangt. Er wird seine Aufgabe erfüllen. Und so wird er den zweiten Teil dessen erfüllen, was das Bild vom Wacholder in der Wüste zeigt. Ich habe den Verdacht, dass der Prophet das Ganze erst viel später begriffen hat. Wie könnte er auch gleich fassen, was da mit ihm geschehen ist? Sobald der Prophet wieder aus dem Wasser schöpfen wird, das aus Gottes Tiefen kommt, wird er wieder aufleben. Und er wird seine Schwestern und Brüder ermutigen können, wie eine Pilotpflanze, die das Überleben jener Pflanzen möglich macht, deren Wurzeln (noch) nicht bis in Gottes Tiefen reichen... Elia wird weiterziehen. Er wird zum Gottesberg kommen. Und er wird dem lebendigen Gott begegnen. Seinem HERRN, dem Ewigen. Aber, ich sags euch gleich, ehe ihr die Eliageschichte im 1. Königsbuch wieder zur Hand nehmt, um sie im ganzen zu lesen: Gott ist ihm nicht im Feuer vom Himmel begegnet, in Blitz und Donner und Erdbeben. Im Gegenteil. Gott war im Nichts, in einem sanften Hauch (wie in der Hand, die ihn da unterm Strauch berührte). Es braucht so wenig, dass Gott uns nahe kommt. Der Gott, der Liebe ist.
Ja, HERR, wir habens immer noch nicht in der Tiefe begriffen, dass du Liebe bist:
Das Böse ist dir ein Grauen. Und du leidest, wenn auch nur ein Mensch leidet.
Und wenn noch so heiliger Eifer das Leiden verursacht hat. Herr, lass uns deine Liebe fassen. Und sie weitergeben, unter uns. Es ist nicht an uns, zu beurteilen, ob und wer deine Liebe verdient.
Du willst, dass wir dein Licht weitertragen. Gib uns, daß wirs tun, wo immer wir sind. Das Dunkel der Welt soll durch dein Licht hell werden. Gib uns ein Herz voller Mitgefühl für alle, die uns begegnen.
Und mach aus uns – keine Glaubenshelden, sondern Pilotpflanzen, die das Lebenswasser deines Wortes finden, um aufzuleben, und um aufleben zu lassen alle, die mit uns unterwegs sind.
Und wir bitten dich für den Nahen Osten. Nimm du dich all derer an, die in Gewalt und Gegengewalt verstrickt sind, und all derer, die auf Frieden hoffen. Gib deinen Frieden, HERR, nach deiner Verheißung.