Evangelium: Markus 9, 2 - 10

Predigt für Sonntag, 3. August 2003

in der Hugenottenhöhle, Vallon   

Lesungen:Deuteronium (5 Mose) 7, 9 - 14 ; 2 Petrus 1, 16 - 19
Evangelium: Markus 9, 2 - 10
Lieder:Arc-en-Ciel 66, 1-2-4 ; 486, 1-2-3 ; 754, 1-2-3
Spontane Antwortverse:118, 1 ; 428, 4 ; 475, 2 ; 81, 8 ; 862 ; 875 ; 883 ; 138. 2

 Die erste heutige Lesung ist ein Segenswort für das Gottesvolk. Das Volk ist dem befreienden Gott begegnet und will ihm nun folgen, um seinen Segen nicht zu verlieren.

Wir hören 5 Mose 7, 9-14

  1. So sollst du nun wissen, daß der HERR, dein Gott, allein Gott ist, der treue Gott, der den Bund und die Barmherzigkeit bis ins tausendste Glied hält denen, die ihn lieben und seine Gebote halten,
  2. und vergilt ins Angesicht denen, die ihn hassen, und bringt sie um und säumt nicht, zu vergelten ins Angesicht denen, die ihn hassen.
  3. So halte nun die Gebote und Gesetze und Rechte, die ich dir heute gebiete, daß du danach tust.
  4. Und wenn ihr diese Rechte hört und sie haltet und danach tut, so wird der HERR, dein Gott, auch halten den Bund und die Barmherzigkeit, wie er deinen Vätern geschworen hat,
  5. und wird dich lieben und segnen und mehren, und er wird segnen die Frucht deines Leibes und den Ertrag deines Ackers, dein Getreide, Wein und Öl, und das Jungvieh deiner Kühe und deiner Schafe in dem Lande, das er dir geben wird, wie er deinen Vätern geschworen hat.
  6. Gesegnet wirst du sein vor allen Völkern. Es wird niemand unter dir unfruchtbar sein, auch nicht eins deiner Tiere.

 

Die zweite Lesung ist ein Glaubensbekenntnis, das auf einer persönlichen Begegnung mit dem Auferstandenen gründet - sich aber so ausdrückt, als habe jeder, der glaubt, den Augenblick der Verklärung Jesu miterlebt.
Wir hören 2 Petrus 1, 16 bis 19 

  1. Denn wir sind nicht ausgeklügelten Fabeln gefolgt, als wir euch kundgetan haben die Kraft und das Kommen unseres Herrn Jesus Christus; sondern wir haben seine Herrlichkeit selber gesehen.
  2. Denn er empfing von Gott, dem Vater, Ehre und Preis durch eine Stimme, die zu ihm kam von der großen Herrlichkeit: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.
  3. Und diese Stimme haben wir gehört vom Himmel kommen, als wir mit ihm waren auf dem heiligen Berge.
  4. Um so fester haben wir das prophetische Wort, und ihr tut gut daran, daß ihr darauf achtet als auf ein Licht, das da scheint an einem dunklen Ort, bis der Tag anbreche und der Morgenstern aufgehe in euren Herzen.

 

Und das Evangelium für heute ist der Bericht von der Verklärung Jesu, der die Begegnung mit dem Auferstandenen vorwegnimmt.

Wir hören Markus 9, 2 bis 10

  1. Nach sechs Tagen nahm Jesus mit sich Petrus, Jakobus und Johannes und führte sie auf einen hohen Berg, nur sie allein. Und er wurde vor ihnen verklärt;
  2. und seine Kleider wurden hell und sehr weiß, wie sie kein Bleicher auf Erden weiß machen kann.
  3. Und es erschien ihnen Elia mit Mose, und sie redeten mit Jesus.
  4. Und Petrus fing an und sprach zu Jesus: Rabbi, hier ist für uns gut sein. Wir wollen drei Hütten bauen, dir eine, Mose eine und Elia eine.
  5. Er wußte aber nicht, was er redete; denn sie waren ganz verstört.
  6. Und es kam eine Wolke, die überschattete sie. Und eine Stimme geschah aus der Wolke: Das ist mein lieber Sohn; den sollt ihr hören!
  7. Und auf einmal, als sie um sich blickten, sahen sie niemand mehr bei sich als Jesus allein.
  8. Als sie aber vom Berge hinabgingen, gebot ihnen Jesus, daß sie niemandem sagen sollten, was sie gesehen hatten, bis der Menschensohn auferstünde von den Toten.
  9. Und sie behielten das Wort und befragten sich untereinander: Was ist das, auferstehen von den Toten?

 

Wir singen jetzt vom Lied 486 (Loué sois-tu, ô Jésus-Christ) die Strophen 1-2-3
 

Liebe Freunde,

einen gewaltigen Bericht haben wir hier vor uns, von einem einmaligen Ereignis. Ein verklärter Leib, ein Glanz, überirdisches Strahlen, eine Wolke, eine Stimme vom Himmel - kurz, ein Wunder, wie wir es uns vielleicht für uns selber wünschen - oder für jemand, den wir gern haben. Kein Wunder, daß die drei Jünger, die das miterleben, völlig hingerissen sind. Uns wäre es nicht anders ergangen. Auch wir hätten uns gewünscht, daß dieser Augenblick nie vergeht. Aber das haben solche besonderen Momente so an sich, die wir manchmal mit der Zungenspitze kosten dürfen, daß sie im Nu vorüber sind. Selbst wenn das gewissen Frommen nicht so paßt, die meinen, sie hätten das Rezept für einen ewig in allen Höhen fliegenden Glauben im Sack. Nein, Du kannst Dich nicht ein für alle Mal einrichten in den Höhen der Glaubensklarheit. Du kannst sie nicht herbeizaubern, du hast sie nicht in der Hand. Es gibt sie schon, diese leider viel zu seltenen, großartigen Erfahrungen, in denen alles klar und eindeutig wird, wo Gott seine Gegenwart erfahrbar macht, wo seine Gebote einsichtig und einhaltbar werden… Wie kommt es zu solchen Augenblicken der Gnade, und warum?

Das Geheimnis, das unsere Glaubenserfahrung umgibt, bringt uns zum Geheimnis des Evangeliums, das wir gerade gehört haben. Warum dieses Ereignis der Verklärung auf dem Weg Jesu? Für uns Protestanten sind es normalerweise Leiden und Auferstehung Jesu, durch die klar wird, wer und was Jesus für uns ist. Warum aber werden nun diese drei Jünger Zeugen einer vorweggenommenen Verherrlichung Jesu?

Warum wiederholt und bestätigt Gott hier das Wort, das er bei der Taufe Jesu gesprochen hat ("Dies ist mein geliebter Sohn")? Und warum zusätzlich die Gegenwart von Mose und Elia?

Wenn wir einmal diese durchaus berechtigen Fragen beiseite lassen, so haben wir hier eine klare Vision, die das kommende Reich vorwegnimmt. Eine überwältigende Bestätigung des Auftrags und des Wesens Jesu. Das ist nicht nur "Verklärung", sondern Vorwegnahme dessen, was Jesus nach seiner Auferstehung sein wird. In der Tat, Jesus nimmt hier den Ostermorgen vorweg, den Sieg über Dunkel und Tod, er empfängt die klare Zusage, daß er der eingeborene Sohn des Vaters ist, das Mensch gewordene Schöpferwort des Vaters, voller Gnade und Wahrheit.

Dieser Augenblick der Klarheit auf dem Berge ist in der Tat die Vorwegnahme der glücklichen Ernte, der heilvolle Ausgang seiner Mission auf Erden - während eigentlich noch Zeit des Säens ist. Grade im Augenblick der Verklärungserfahrung wenden sich viele von ihm ab, seine Verkündigung wird in Frage gestellt, wenige nur fassen den Kern seiner Botschaft.

Wer wünschte sich nicht, daß ihm vergönnt wird, im Voraus die Früchte seiner Arbeit zu sehen, Das Ziel seiner Kämpfe? Einfach, um entschlossener auf dem Weg zu bleiben. Um sicher zu sein, nicht in die verkehrte Richtung gegangen zu sein. Auch für die Jünger konnte eine solche Vision nur ein Vorteil sein. Vielleicht lag Jesus sogar daran, sie der Gnade teilhaftig werden zu lassen, wie es kurz vor unserem Abschnitt bei Markus heißt "sie sollten den Tod nicht schmecken, ehe sie das Reich Gottes in all seiner Herrlichkeit hätten kommen sehen…"

Damit verheißt Markus den Lesern seines Evangeliums freilich mehr, als er selbst ihnen bietet - denn ursprünglich hört sein Evangelium ja auf mit dem leeren Grab und dem Erschrecken der Frauen - wenn nicht sogar schon mit der Ankündigung von Verfolgung und Not in Kapitel 13 (wie neuerdings Etienne Trocmé gezeigt hat).

Man kann sich freilich leicht vorstellen, daß diese besondere Gnade auch zur Falle werden kann. Das kann zu frommem Stolz führen, einen derart gesegneten Höhepunkt des Glaubens geschenkt bekommen zu haben. Oder zur frommen Faulheit: Gott wird schon alles richten, ich muß mich da nicht mehr selber anstrengen…

Man kann diesen Augenblick der Verklärung auch als eine neuerliche Versuchung Jesu verstehen. Als die Versuchung, sich an dieser Herrlichkeit festzukrallen, einfach nicht mehr hinabzusteigen in die Niederungen des Alltags; die Feuerprobe des Leidens zu vermeiden, dem Schmerz des Sterbens aus dem Weg zu gehen, die Einsamkeit der Verzweiflung zu fliehen, die Tiefe der Dunkelheit, die Kälte des Grabes zu umgehen. Nein, unmöglich, Zelte zu bauen und sich in der Seligkeit wohnlich einzurichten.

"Es mußte so geschehen, daß der Christus leidet!" Er mußte wieder herab vom Berg der Verklärung. er mußte den Weg weitergehen, der am Kreuz geendet hat.

Markus gönnt Elia in seinem Bericht einen Vorzugsplatz, ihm, dessen Wiederkehr das Gottesvolk erwartet hat. Ganz so, als müsse man diese erste große, charismatische Gestalt der hebräischen Bibel mit dem Nazarener vergleichen oder sogar identifizieren. Mose hingegen ist bei Markus nur Begleitperson für Elia. Der ist immerhin einer Himmelfahrt teilhaftig geworden - ohne doch etwas anderes als ein sterblicher Mensch gewesen zu sein. Das Gottesvolk hat diese Wiederkunft immer wieder diskutiert und erwartet. Aber auch ganz abgesehen von der theologischen Debatte ist unzweifelhaft festzustellen, welchen Widerhall dieser Prophet im Gottesvolk hatte. Das spiegelt sich in den Berichten von Jesus, dem Wundermann, dem Heiler, von Jesus als dem Mann, der sich die unreinen Geister gefügig macht, der das kommende Reich verkündet.

Jesus begegnet im Augenblick der Verklärung dem Elia der hebräischen Bibel. Jesus selbst ist wie Elia. Er heilt und rettet, voll Autorität und Erbarmen, er spricht mit prophetischer Vollmacht - aber zugleich ist Jesus noch viel mehr als Elia! Darum kommt vom Himmel diese Stimme, die klarstellt, daß es einen himmelweiten Unterschied gibt zwischen diesen drei Männern in Weiß.

Er, Jesus, ist mein Sohn! Er ist der Eine, Einmalige, unter allen, die ich liebe!

Er ist das menschgewordene WORT - ihn sollt ihr hören!

Am Kreuz schreit Jesus "Eli, Eli, lama sabachtani?" (Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?") Aber die Menge hat's immer noch nicht begriffen. Sie verwechselt immer noch Elia und Jesus. Und der grauenhafte Hohn: "Wartet doch mal, wir wollen sehen, ob Elia herabkommt, ihn da herabzuholen!" - das ist mehr als ein Armutszeugnis, mehr als ein Bekenntnis ihres Unglaubens. Der wahre Prophet in diesem Augenblick, das ist der leidende Messias am Kreuz. Nur der Hauptmann unter dem Kreuz hat's begriffen. Und es ist nicht von ungefähr, daß der wie zufällig genau die Worte aufnimmt, die Gott bei der Taufe und auf dem Berg der Verklärung gesprochen hat.

Das stellt uns der Bericht der Verklärung vor Augen. Ob wir auf dem Berg der Klarheit sind oder im gemeinsamen Gottesdienst, ob im Grau unseres Arbeitsalltags oder im Fegefeuer einer Krankheit, oder auch unter der Last des Alters: Immer wieder sind wir aufgerufen, uns dem lebendigen Wort Gottes anzuvertrauen. Dem Wort, das uns zusagt, daß Christus, unser Bruder und Herr, seine Herrschaft angetreten hat und daß ihm darum alle Herrschaftsgewalt zukommt im Himmel und auf Erden. Mit oder ohne Verklärung, mit oder ohne besondere geistliche Höhenflüge wissen wir ein für alle Mal, daß uns das Wort Gottes immer wieder neu geschenkt wird. Dafür hat Jesus uns voran den Weg der Dunkelheit auf sich genommen, den Weg durch Schmerz und Tod. So wird er immer bei uns sein, in den Höhen und Tiefen, sogar im Augenblick des Zweifels und der Verzweiflung, und ganz besonders dann, wenn wir durch die Hölle des Leidens hindurch müssen. Nichts kann uns von ihm und seiner Liebe scheiden. Amen.

Herr, du schenkst uns die umwerfende Erfahrung der Glaubensklarheit.

In solchen besonderen Höhepunkten läßt du uns die wahren Verhältnisse der Wirklichkeit erkennen.
Du wirst groß - und alles Kleine wird klein.

Eine gewaltige Erfahrung des Glaubens ist das, der Augenblick der Verklärung.
Aber er ist nicht von Bestand.
Wir können auf dem Berg der Verklärung keine Hütten bauen.
Wir müssen wieder hinab auf die Wege des Alltags.
Wir müssen die Begeisterung wieder ablegen, die uns mitgerissen hat.
Wir müssen die Faszination des Augenblicks immer wieder hinter uns lassen,
solange wir hinieden unterwegs sind.
Es bleibt uns nicht erspart, wieder in den Nebel des Gewöhnlichen hinabzutauchen,
in Leid und Zweifel, in Angst und Schwierigkeiten.
Und es bleibt uns nichts - nichts außer deinem Wort.

Schenk uns, daß wir das Wesentliche nicht vergessen:
Schreibs in unsere Herzen, daß Jesus, dein Sohn, unser Bruder,
auch hinabgestiegen ist. Er ist den Dunkelheiten und dem Leiden nicht ausgewichen.
Er hat sie mit uns geteilt, er hat sie auf sich genommen
bis hin zur letzten Einsamkeit und bis zum Tod am Kreuz.
Komm uns zu Hilfe, himmlischer Vater, daß wir unsererseits nicht fliehen müssen
vor dem, was uns angst macht. Laß uns standhalten dem Leid, dem wir begegnen,
mach uns fähig zum Mit-Leiden, fähig, mitzutragen, was andere zu tragen haben.

Wir denken an die Kranken und an die, deren Weg zu Ende geht.
Wir denken an alle, die sich nicht wehren können.
Aber wir denken auch an alle, die Verantwortung tragen,
die zu entscheiden, zu regieren haben, denen der Friede in der Welt anvertraut ist.
Schenke allen, die Macht haben, deinen Geist der Klarheit und ein weites Herz,
das für die Menschen und die Welt offen ist.

Laß es geschehen, Herr, daß überall, wo uns die Last des Alltags auf der Seele liegt,
auch die Klarheit und die Kraft deiner Gegenwart spürbar wird,
daß das Licht deines Wortes und das Feuer deines Geistes gegenwärtig sind
und die Gnade Deiner Vergebung.
Laß uns dein Wort miteinander teilen, denn in deinem Wort
bis du mitten unter uns - alle Tage, bis an der Welt Ende. Amen.